Dienstag, 18. Dezember 2012

Wildwasserpaddeln im Canadier

Folgenden Text wollte ich schon vor geraumer Zeit im Open-Canoe-Journal veröffentlichen aber Frank, der Betreiber, meinte, dass der Text auf Anfänger zu abschreckend wirke. Nachdem ich jetzt einige Zeit daran herumgewerkelt habe und die abschreckenden Elemente nicht richtig weg kriege weil ich sie nicht unterschlagen will veröffentliche ich es eben hier.


Wie man hört neigen alle Paddler dazu "[…]in Ehrfurcht zu versinken, wenn ein Paddler von reißendem Wildwasser, stehenden Wellen, wochenlangen Wildniserlebnissen mit Abenteuergarantie erzählt. […] denn als Paddler lernt man schnell, dass Fließ- und Wildwasser die „wirklichen Herausforderungen“ sind und Flachwasserpaddeln ja eigentlich nur der Vorbereitung darauf dient“ (Quelle).

Dass das nur zum Teil stimmt und dass auf Flachwasser dennoch komplexe und imponierende Manöver gepaddelt werden können heben die Freestyle-Paddlerinnen und Paddler zwar gern und mit gutem Grund hervor, aber bedauerlicherweise drängt sich die Erfordernis, sich die unbestritten beeindruckenden Flachwassertechniken anzueignen, all jenen, die das Kanu für längere Fahrten über große Wasserflächen nutzen, nicht so unmittelbar auf. Erheblich offensichtlicher ist für sie die Notwendigkeit das Boot trocken und aufrecht durch Wind und Wellen zu bekommen ohne graziöse Kringel und Schleifen zu fahren. Und auch die, die eine kleine oder auch eine größere Stromschnelle in Fließgewässern hinunter manövrieren möchten, weil sie die lieber nicht umtragen wollen, sind stärker daran interessiert, die auf dem Weg liegenden Kehrwasser zu erwischen, um sich für die weitere Fahrt auszuruhen und zu orientieren, als daran, in diesen Kehrwassern anmutig aufgekantet und im Takt Figuren zu paddeln.


Und sollte man dann noch dazu von Paddelfreunden umgeben sein, die in diesen kleinen engen Kajaks unterwegs sind und immer, wenn sie spannende Ausfahrten machen verlautbaren „…heute kannst Du leider nicht mitspielen“ wird einem schnell klar, dass man seine Paddelkompetenzen jenseits des ruhigen und vertrauten Flachwassers erweitern sollte.

Wenn ein Wechsel der Bootsgattung nicht in Betracht kommt weil man sich in engen kleinen Bootsluken sitzend nicht recht wohl fühlt und beim Umgang mit Doppelpaddeln beständig über den fehlenden Handgriff und das an seiner Stelle befindliche überflüssige Paddelblatt murrt, muss man eben im offenen Boot lernen mit bewegtem Wasser klar zu kommen. Dass das offenbar bis in beachtliche Schwierigkeitsgrade hinein machbar ist, wird in den anfangs angeführten Lagerfeuer-Erzählungen angedeutet und ist Inhalt mehr oder weniger imponierender Helden- und Expeditionsgeschichten.


Dass Wildwasserpaddeln doch nicht ganz so leicht ist zeigt die Erfahrung: Es gibt wenig wirklich „gutmütige“ Anfängerboote bei den Wildwassercanadiern und selbst in solchen sitzt man im Vergleich mit den im niedrigen Kajak sitzenden Doppelpaddlern erschreckend hoch. Deshalb hat bewegtes Wasser unter einem offenen Boot auch erheblich mehr Wirkung auf den darüber knienden Stechpaddler als es auf sitzende Doppelpaddler in geschlossenen Booten hat.


Davon sollte man sich als Anfänger jedoch nicht entmutigen lassen sondern diesen Umstand als Chance und Herausforderung begreifen: Wildwasserboote mit Rundboden erscheinen dem Ungeübten so kippelig, dass er zunächst sehr damit beschäftigt ist das Gleichgewicht zu halten - was eine gute Übung für die Verhältnisse im Wildwasser ist, wie sich mit der Zeit erweist. Flachbodenboote haben die Eigenart zuerst bretthart auf dem Wasser zu liegen, bei Seitenströmung jedoch sehr überraschend ins Kippen zu geraten. Sie lehren einen - bauartbedingt - Strömungsverhältnisse richtig einzuschätzen und das Boot rechtzeitig angemessen aufzukanten. Und Wildwasserboote sind wenig richtungsstabil. Der Kielsprung bewirkt, dass jeder Paddelschlag ohne Heckhebel das Boot in Rotation bringt.
Sie erziehen den oder die Paddlerin dazu, einen sauberen Grundschlag zu erlernen, dessen wichtigstes Merkmal der „Heckhebel“, ein nach außen gerichteter Impuls mit der Paddelrückseite am Ende der (kurzen) Durchzugsbewegung, ist.


Der Schlüsselbegriff „Übung“ darf deshalb nicht unterbewertet werden. Aber unangeleitetes Üben birgt die Gefahr in sich ineffiziente Lösungsstrategien zu verfestigen. Das erfolgreiche Wildwassern im Canadier (erfolgreich in Zusammenhang mit erkennbaren Fortschritten und im Sinne von „Schwimmen vermeiden“  - denn „trocken bleiben“ kann keiner erwarten) ist ohne Erlernen einiger grundlegender Techniken und Reflexe kaum zu bewerkstelligen. Hier helfen strukturierte Kurse in ähnlichem Maß wie Ratschläge erfahrener Paddlerinnen und Paddler. Kurse ohne Übungspraxis verpuffen und unangeleitetes Üben begünstigt das Verfestigen von ineffizienten Behelfslösungen.


Dass Wildwassernovizen und -novizinnen gelegentlich kentern ist ein Schicksal, dass sie mit den erfahrenen Wildwasserpaddlern teilen. Erfahrungsgemäß ist es so, dass diejenigen, die sich erst einmal in die Lage versetzt haben in wildem Wasser paddeln zu können, häufig bestrebt sind noch wilderes Wasser mit ihren offenen Booten zu bewältigen. Der damit verknüpfte Lernprozess beinhaltet Momente des Jubilierens und des Scheiterns.


So kommt es, dass die Anfänger, die eben noch unterhalb einer 2er-Stelle, die der Könner vorher mühelos bewältigt hat, mittels Wurfsack aus dem Wasser gezogen werden mussten, an der nachfolgenden 3+-Stelle, die sie vorsorglich gleich umtragen haben, den schwimmenden Könner aus dem Wasser ziehen. Es ist also beim Wildwasserpaddeln dringend erforderlich gleich von Anfang an das Schwimmen in bewegtem Wasser zu üben und es ist notwendig in Gruppen unterwegs zu sein, innerhalb derer klar geregelt ist, wer wen wann sichert und welche Rettungstechniken unter welchen Umständen anzuwenden sind. Rettungs- und kontrollierte Schwimmübungen im Wildwasser sind deshalb auch obligatorisch.

Auch beim Schwimmen und Retten und Bergen gilt es eine Reihe grundlegender Techniken zu beherrschen, die sowohl in einem Kurs als auch als Trainingselement bei Ausfahrten mit Paddelfreunden geübt werden. Verantwortliche Paddelgruppen üben das.
Sie legen bei ihren Ausfahrten an geeigneten Stellen kurze oder auch längere Übungspausen ein. Das machen sie dort, wo das Risiko gering und die Bedingungen günstig sind damit die Abläufe im weniger freundlichen Ernstfall sitzen und Rettungsmaßnahmen auf Anhieb gelingen.

Wildwasserpaddeln im offenen Canadier ist von der Ausrüstung her ein vergleichsweise aufwändiger Sport. Übertrumpfen sich die Flachwasserpaddler noch mit immer ausgefeilteren Bootsdesigns und filigranen Spezialpaddeln, so benötigen Paddler im Wildwasser zusätzlich zu Wildwassercanadiern (derer wenige aber erstaunlich unterschiedliche auf dem Markt sind) und Paddeln noch hoch spezialisierte Schutzbekleidung und Rettungsausrüstung deren Vor- und Nachteile ausgiebig diskutiert werden können. Ein augenfälliger Nachteil ist, dass das ganze Gerümpel nicht ganz billig ist.


Ein weiterer Nachteil des Wildwasserpaddelns ist, dass es unweigerlich bergab führt. Zwar können sich Wildwasserpaddler an bestimmten Stellen im Fluss erstaunlich lang aufhalten (das Surfen auf Wellen gehört zu den besonders populären Geschicklichkeits- und Gleichgewichtsübungen, dicht gefolgt von Jet- und S-Ferries über Stromzungen und damit verbundene Kehrwassermanöver) aber wer sich für wildes Wasser entscheidet und einen gewissen Ehrgeiz entwickelt, wird sich auf Dauer nicht mit einem kleinen Flussabschnitt oder gar mit einer Wasserfläche zufrieden geben. Er muss längere Anfahrten, knifflige Umsetzmanöver und Aufenthalte in der Bergwelt in Kauf nehmen - denn nur da fließt das richtig wilde Wasser.


Nun soll hier das Wildwasserpaddeln dem technisch anspruchsvollen Flachwasserpaddeln nicht ausschließlich konkurrierend gegenübergestellt werden. Jede und jeder tut gut daran sich von beiden gar nicht so weit voneinander entfernten Herangehensweisen den Teil zu erschließen, der den individuellen Interessen und den verfügbaren Gewässern angemessen ist.


Wer jedoch von vorne herein weiß, dass er sich nicht auf stehende Gewässer beschränken wird sondern auch Touren paddeln will und dabei Bäche und Flüsse unter seinen Kiel nimmt und möglicherweise auch noch Kinder und Gepäck mit an Bord hat sollte sich selbst dann mit Wildwassertechniken vertraut machen wenn er gar keine Ambitionen hat voll ausgerüstet in richtig spritzigem Wildwasser unterwegs zu sein. Man paddelt schließlich niemals den gleichen Fluss - abhängig vom Wasserstand kann ein gestern noch ruhig dahin fließender Wanderfluss am anderen Morgen deutlich anspruchsvollere Verhältnisse bieten. Es wäre doch schade einen Paddelurlaub abbrechen zu müssen bloß weil da plötzlich mehr Wasser fließt als erwartet. Schließlich kann man mit dem vielen Wasser jede Menge Spaß haben, wenn man weiß, wie man damit umgehen muß.

1 Kommentar:

  1. Hallo Alex, toller Beitrag DANKE. Ebenso die Bilder.

    Für mich als Kanuwanderer bei welchem erst das Naturerlebnis, das Angeln und das das Canadier fahren kommt, ist der Artikel besonders interessant. Und das beste, er macht richtig Lust darauf die bisherigen Fähigkeiten zum Wildwasser Paddeln auszubauen. Ich hoffe jedenfalls das sich dazu im Jahr 2013 Gelegenheit und suche noch nach den Kursmöglichkeiten im Süddeutschen Raum? Tübingen würde ich auch anfahren.

    Da ich derzeit auch in deinem Buch lese kann ich dir nicht verraten welches Boot ich mein Eigen nennen kann .... aber ich schlafe weiterhin in meinem Bett. Nun bei einem eventuellen Kurs muss ich in jedem Falle ein anderes besorgen.

    Schöne Grüße vom Bodensee
    Holger

    AntwortenLöschen